Weichtier des Jahres 2023: Die chilenische Stachelschnecke (Concholepas concholepas)
Concholepas concholepas zählt zu den Felsenschnecken und ist im südöstlichen Pazifik zu finden; ausgewachsene Exemplare können eine Schalenlänge von etwa 15 Zentimetern erreichen. Als Fleischfresser nimmt sie die Rolle einer Schlüsselart ein, die das Vorkommen anderer Arten kontrolliert. In ihrer Heimat als „Loco“ (ein Lehnwort des Mapuche-Volkes in Chile) bekannt, kommt der Schnecke mit dem großen Fuß und widerstandsfähigen Gehäuse eine große kulturelle, soziale, wirtschaftliche, evolutionäre und ökologische Bedeutung zu. Doch ihre Bestände sind aufgrund von starker Überfischung gefährdet, denn die sogenannte „chilenische Abalone“, die äußerlich der Meeresschnecke Seeohr („Abalone“) ähnelt, wird weltweit als Delikatesse gehandelt. Auch verschmutze Küstengebiete bedrohen die Art.
Die fünf Mollusken-Kandidaten für "Internationales Weichtier des Jahres 2023"
Hermissenda crassicornis, Foto: Lauren Wilson
Hermissenda crassicornis, die dickhörnige Nacktschnecke
Was sind das für Tiere? Hermissenda crassicornis, die dickhörnige Nacktschnecke, ist eine auffällige Meeresschnecke, die mit hornartigen Auswüchsen bedeckt ist, den sogenannten Cerata. Diese „Hörner“ dienen einem doppelten Zweck: Sie vergrößern die Körperoberfläche für die Atmung und sondern zudem giftige Nesselzellen ab, um sie vor Fressfeinden zu schützen. Die Zellen werden nicht von der Nacktschnecke selbst produziert, sondern direkt von ihrer Beute gestohlen!
Wo leben sie? Diese Meeresschnecken sind entlang der Pazifikküste Nordamerikas – von Nordkalifornien bis Alaska – weit verbreitet. Man findet sie vor allem in der felsigen Gezeitenzone, aber auch in Pflanzen- und Tiergemeinschaften an Docks, wo sie einige ihrer bevorzugten Beutetiere wie Seeanemonen finden. Ihre Ernährung ist sehr vielfältig: Sie fressen auch Korallen, Muscheln, Würmer und sogar andere Nacktschnecken!
Wie sehen sie aus? Diese Nacktschnecken werden bis zu fünf Zentimeter lang und haben einen glatten Körper in der Farbe von Milchglas. Ihr Rücken ist mit den Cerata bedeckt, die oft orange/kastanienbraun sind, mit einem deutlichen vertikalen weißen Streifen, der sie von der eng verwandten Hermissenda opalescens unterscheidet. Die beiden Geruchsrezeptoren (Rhinophoren), die aus dem Kopf herausragen, sind der Grund für den Namen „crassicornis“, was so viel wie „dickhörnig“ bedeutet. Ihre Stirn ist mit einer orangefarbenen Fackel verziert, die von blauen Streifen flankiert wird.
Welche Geheimnisse wird dieses Genom lüften? Hermissenda crassicornis hat ein sehr einfaches Nervensystem, wodurch sie zu einem wichtigen Modellorganismus für die Untersuchung der klassischen Konditionierung, des assoziativen Lernens und der Gedächtnisbildung (sowie der Physiologie der sensorischen und motorischen Neuronen) wird. Mit dem verfügbaren Genom könnten Forschende die molekulare Maschinerie hinter diesen Prozessen entschlüsseln und herausfinden, wo im neuronalen Netz sie ablaufen. So könnten wir beispielsweise Gene identifizieren, die während der Gedächtniskonsolidierung in verschiedenen Regionen aktiv exprimiert werden. Die Zusammenstellung des Genoms von Hermissenda crassicornis ist nicht nur für die Meeresforschung von Nutzen, sondern auch für viele andere Forschungsbereiche, zum Beispiel für das Verständnis der Lernprozesse bei Säugetieren!
Neopycnodonte zibrowii, Fotos: Dr. Max Wisshak und Rebikoff-Niggeler Foundation
Neopycnodonte zibrowii, die Riesentiefseeauster
Was sind das für Tiere? Die Riesen-Methusalem-Auster ist eine der größten Tiefseemuscheln und eines der ältesten jemals entdeckten Tiere (ausgenommen koloniale Tiere wie Korallen) – mit einer rekordverdächtigen Lebensdauer von über 500 Jahren!
Wo leben sie? Dieser außergewöhnliche Organismus wurde in der Tiefsee des mittleren und östlichen Atlantiks sowie im Mittelmeer gefunden, wobei einige Nachweise aus einer Tiefe von fast 1000 Metern stammen. Seine Larven führen zunächst einen nomadischen Lebensstil, bevor sie sich an einer schützenden vertikalen Wand oder einem Überhang festsetzen und so vor Sedimentation geschützt leben. Über Jahrtausende und unter optimalen Umweltbedingungen kann Neopycnodonte zibrowii hängende Austernriffe bilden. Lebende Exemplare können nur mit Hilfe moderner Meerestechnologien entdeckt und dokumentiert werden – dies erklärt, warum ein so großes Tier (es wird bis zu 30 Zentimeter lang) bis vor kurzem noch keinen wissenschaftlichen Namen hatte.
Wie sehen sie aus? Der weiche Körper von Neopycnodonte zibrowii ist dünn, die Schale jedoch kompakt und schwer im Vergleich zu ihren Flachwasser-Verwandten. Die feste Verankerung in einem geschützten Lebensraum und die dicke Schale sind eine effiziente Strategie, um Umweltgefahren und Fressfeinden zu entgehen und eine Lebensspanne von über einem halben Jahrtausend zu erreichen.
Welche Geheimnisse wird dieses Genom lüften? Die Sequenzierung des Genoms von Neopycnodonte zibrowii wird wichtige Erkenntnisse zu der außergewöhnlichen Langlebigkeit und der stammesgeschichtlichen Verbindung mit im Flachwasser lebenden Verwandten der Art liefern.
Micromelo undatus, Foto: Aketza Herrero Barrencua
Micromelo undatus, die Gepunktete Papierblasenschnecke
Was sind das für Tiere? Was ist das für eine Schönheit? Vielleicht haben Sie sich diese Frage beim Herunterscrollen schon gestellt. Es handelt sich um Micromelo undatus, ein winziges Weichtier aus einer Familie von Meeresschnecken (Acteonidae). Sie sind Fleischfresser, die sich von winzigen borstigen Ringelwürmern (Polychaete) ernähren, und raten Sie mal – sie nehmen die Gifte dieser Würmer auf und nutzen sie, um sich gegen ihre Feinde wie Seesterne zu verteidigen! Sie sind sowohl tagsüber als auch nachts aktiv, und selbst wenn sie sich in ihre Schale zurückziehen können, tun sie dies nur selten.
Wo leben sie? Diese Art ist ein Juwel, das jeder gerne finden würde. Sie ist im Atlantischen Ozean beheimatet und lebt in flachen Gewässern von Gezeitentümpeln bis zu einer Tiefe von zehn Metern. Sie sind recht winzig, so dass es nicht leicht ist, einzelne Exemplare dieser beeindruckenden Art zu finden, wenn man sie persönlich treffen möchte.
Wie sehen sie aus? Micromelo undatus ist farbenfroh, mit einem schillernden, fast regenbogenfarbenen Rand, der den Körper umrahmt. Ihre winzige Schale (kleiner als 25 Millimeter) ist mit linearen, blutähnlichen Farbmotiven verziert, die an uralte Malereien erinnern. Ihr Körper ist teilweise durchsichtig und weist von vorne bis hinten weiße Flecken auf. Und schließlich hat diese Schnecke noch ein verborgenes Geheimnis: Sie leuchtet unter UV-Licht – die Schale rot und der Körper grün. Diese einzigartige Spezies ist vor 200 Millionen Jahren entstanden, also respektieren Sie bitte dieses Tier und seine Umgebung, wenn Sie es finden.
Welche Geheimnisse wird dieses Genom preisgeben? Die Art Micromelo undatus bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten, die Evolution der Weichtiere zu verstehen. Forschende können an ihr die Prozesse entschlüsseln, die zur Bildung schneckenartiger, charakteristischer Strukturen geführt haben, sowie den Übergang der Mollusken von aquatischen zu terrestrischen Lebensräumen. Darüber hinaus kann Micromelo undatus wichtige Erkenntnisse über die Mechanismen liefern, die zur Evolution der Heterobranchia (Verschiedenkiemer) geführt haben. Schließlich weist Micromelo undatus einzigartige Merkmale auf, die es zu untersuchen gilt, wie zum Beispiel die Gene, die für die schillernden Farben verantwortlich sind, die Mechanismen, die dem Leuchten der Mollusken zugrunde liegen, sowie die Anpassung an unterschiedliche Bedingungen und die Besiedlung des Ozeans.
Wenn Sie Micromelo undatus zum Internationalen Weichtier des Jahres wählen, bietet sein Genom eine einzigartige Gelegenheit, all diese Bereiche und noch viel mehr zu erforschen!
Limax maximus, Foto: Julian Taffner
Limax maximus, der Tigerschnegel
Was sind das für Tiere? Tigerschnegel sind an Land lebende Schnecken, die zehn bis zwanzig Zentimeter lang und bis zu drei Jahre alt werden können. Sie ruhen tagsüber und bei Trockenheit unter Stämmen und Steinen und kommen nur nachts oder bei Regenfällen aus ihrem Versteck. Ihr Heimkehrinstinkt führt sie nach dem Umherstreifen zurück zu ihrem Unterschlupf. Manchmal werden diese Schnecken als „Freunde des Gärtners“ bezeichnet, da sie sich hauptsächlich von zersetzten Tier- und Pflanzenresten (Detritus) und Pilzen ernähren, doch auch andere Schneckenarten und deren Eier stehen auf ihrem Speiseplan. Im Gegensatz zu Schädlingsarten wie der Spanischen Nacktschnecke (Arion vulgaris) frisst der Tigerschnegel nur sehr selten Ihre Gartenpflanzen. Tigerschnegel sind für ihr ungewöhnliches Paarungsverhalten bekannt: Sie umwerben sich stundenlang, klettern dann auf einen Baum, lassen sich an einem Schleimfaden herab und umschlingen sich, um Spermien auszutauschen – und ja, sie sind Zwitter.
Wo leben sie? Ursprünglich in Europa und den Mittelmeerländern Afrikas beheimatet, wurde diese Schnecke in Afrika, Asien, Nord- und Südamerika sowie in Australien und Neuseeland eingeführt. Sie bevorzugt feuchte Standorte wie Gärten, Parks oder feuchte Keller, wo sie auch überwintern kann.
Wie sehen sie aus? Der Tigerschnegel hat einen gräulich bis bräunlich gefärbten Körper, der mit dunklen Streifen, Punkten und Flecken verziert ist, die an ein Leopardenmuster erinnern. Das erste Drittel ihres Körpers ist durch einen schön marmorierten Mantelschild geschützt, der eine innere, verkleinerte Schale und ihre Lunge bedeckt. Das Ende des Schwanzes ist gekielt. Tigerschnegel werden aufgrund ihrer ansprechenden Musterung häufig als Haustiere in Terrarien gehalten.
Welche Geheimnisse wird dieses Genom lüften? Die Analyse des Genoms wird Aufschluss darüber geben, wie erfolgreich sich diese Art an verschiedene Klimazonen anpassen und so in neue Lebensräume eindringen kann. Diese Fähigkeit ist vor allem in Zeiten des Klimawandels wichtig. Außerdem könnte die genomische Erforschung die Mechanismen aufdecken, die hinter den zahlreichen Farbvariationen und der Schalenverkleinerung des Tigerschnegels stehen.
Concholepas concholepas, Foto: Gustavo Duarte Sepulveda
Concholepas concholepas, Foto: Cristian Sepulveda
Concholepas concholepas, Foto: Cristian Sepulveda
Concholepas concholepas, die chilenische Stachelschnecke
Was sind das für Tiere? Die sogenannte chilenische Abalone oder peruanische Tolina, auch bekannt als „Loco“ (ein Lehnwort des Mapuche-Volkes in Chile), ist eine große, essbare Meeresschnecke aus der Familie der Stachelschnecken (Muricidae). Sie ist einer der wichtigsten Räuber in den Gemeinschaften, in denen sie lebt, und gilt als eine von mehreren Schlüsselarten, die das Vorkommen anderer Arten kontrollieren. Die „Locos“ spielen in Chile und Peru eine große kulturelle, soziale, wirtschaftliche, evolutionäre und ökologische Rolle. Diese Stachelschnecke ist eine der zentralen Arten, auf die territoriale Nutzungsrechte in der Fischerei abzielen, von denen zahlreiche handwerkliche Fischer in Chile profitieren.
Wo leben sie? Die „Locos“ lebt in gezeitenabhängigen und flachen, felsigen Lebensräumen entlang der gemäßigten, kalten Küste des südöstlichen Pazifiks – von Lobos de Afuera in Peru bis Kap Hoorn in Chile. Sie sind oft zwischen den Verankerungen von Tangwäldern oder in verkrusteten Gemeinschaften aus Muscheln oder Seepocken zu finden.
Wie sehen sie aus? Wie Sie vielleicht schon vermutet haben, ähnelt diese Schnecke oberflächlich betrachtet einer Schnecke aus der Gattung der Seeohren (Abalonen) von der Westküste der USA und Mexikos. Concholepas concholepas ist jedoch eine Stachelschnecke mit einem großen Fuß und einem robusten Gehäuse. Wenn sie ausgewachsen ist, kann sie eine Schalenlänge von 15 Zentimetern (oder sogar mehr) erreichen.
Welche Geheimnisse wird dieses Genom lüften? Die „Locos“ werden von den Menschen seit der präkolumbianischen Zeit als Nahrungsmittel genutzt. Doch seit mehr als einem halben Jahrhundert wird die Art übermäßig ausgebeutet, und einige Populationen leben in stark verschmutzten Küstengebieten. Die Entschlüsselung des Genoms wird dazu beitragen zu verstehen, wie wirbellose Meerestiere auf molekularer Ebene mit der starken Fischerei umgehen und verschmutzte Umgebungen tolerieren. Genomische Analysen können auch Auskunft darüber geben, wie die verschiedenen Populationen in dem weiten Verbreitungsgebiet miteinander verbunden sind und ob eine Population lokale Anpassungen erfahren hat. Darüber hinaus hat der Sauerstofftransporter Hämocyanin im Blut der chilenischen Abalone eine immuntherapeutische Wirkung gegen einige Krebsarten. Die Untersuchung ihres Genoms kann die Bekämpfung menschlicher Krankheiten fördern und zur Entdeckung neuer Moleküle mit pharmazeutischer Bedeutung führen.